18. Juli 1905: „ [...] but today I discovered a nest made of dried grasses, with a number of eggs. This is the latest in the season I have ever found."
18. Juli 1906: „Saw a Blackbird sitting on its nest today, in the top of a high Hawthorn hedge. [...]“
Diese Naturbeobachtungen schrieb Edith Holden am Anfang des letzten Jahrhunderts in ihren Naturtagebüchern nieder. Dabei richtete sich ihr Augenmerk nicht nur auf Tiere, sondern sie beschrieb das Wetter und die sich im Laufe der Jahreszeiten verändernde Pflanzenwelt, sie gibt Auskunft über Feiertage und die Herkunft der Monatsnamen und führt passende Gedichte an. Doch der wahre Schatz und Kern in ihren Aufzeichnungen sind die von Holden angefertigten Aquarelle, welche detailgetreu und liebevoll die Tier- und Pflanzenwelt Großbritanniens wiedergeben.
Dabei war die Anfertigung solcher Naturtagebücher ab dem Ende des 18. Jahrhunderts in England nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist in Holden's Fall die Veröffentlichung der Tagebücher und deren enormer Erfolg. Was für Edith private Notizen waren, wurde zu einem Verkaufsschlager. Doch nicht zu ihren Lebzeiten. Erst knappe 60 Jahre nach Holdens Tod wurden die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1906, welche sich im Besitz von Holden's Großnichte befanden, erstmalig als The Country Diary of an Edwardian Lady veröffentlicht und wurden mittlerweile mehr als sechs Millionen mal verkauft. Der Vorgänger aus dem Jahr 1905 folgte dann 1989 unter dem Namen The Nature Notes of an Edwardian Lady.
Der Erfolg der Bücher übertrifft bei Weitem die Anerkennung die Edith Holden als Künstlerin zu ihren Lebzeiten erhielt. Zwar unterrichtete Edith Zeichnen, stellte regelmäßig ihre Ölgemälde aus, veröffentlichte Zeichnungen und etablierte sich mit 40 Jahren als Buchillustratorin, doch drei ihrer Schwestern waren im Bereich der Künste weitaus mehr angesehen als sie selbst. Übrigens waren alle ihrer insgesamt sechs Geschwister auf die eine oder andere Weise musisch begabt. Sie kamen aus einem intellektuellen Elternhaus, in dem die Schönen Künste zum Alltag gehörten und es meist rege zuging. Es waren oft Besucher zugegen, Theateraufführungen oder musikalische Abende fanden statt, es wurde politisch diskutiert und über eine lange Zeit wurden sogar spiritistische Sitzungen abgehalten.
Edith selbst zeigte schon früh eine Begabung für's Zeichnen und ging mit 13 Jahren auf die Birmingham School of Art. Dort spezialisierte sie sich später auf Tiermalerei. Ihr künstlerisches Schaffen blieb auch immer eng mit der sie umgebenden Natur verbunden. Man sieht in Ediths Werken nicht nur ihr Wissen über die lokale Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch ihre Wertschätzung dieser. So setzte sie sich auch gezielt für das Wohl von Tieren ein, indem sie Tierhilfsorganisationen mit Spenden unterstützte und für sie Zeichnungen zum Verkauf anfertigte.
Ihre Liebe zur Natur ist auch in den beiden Tagebüchern spürbar und sicher ein Grund für deren Beliebtheit. Die Erstveröffentlichung fällt in eine Zeit, in der die Angst vor Umweltkatastrophen und das Bewußtsein um den menschlichen Schaden an der Natur stetig steigt. Dabei zeigen die Bücher bis heute eine Welt, die immer mehr am verschwinden ist und die immer weniger Menschen kennen.
Nicht nur Edith's Leben war eng mit der Natur verbunden, sondern auch ihr Tod. Sie starb unerwartet am 15. März 1920 im Alter von 49 Jahren beim Pflücken von Kastanienzweigen. Der Baum stand am Wasser und scheinbar verlor Edith beim Versuch die Zweige zu erreichen das Gleichgewicht und fiel ins kalte Flusswasser, wo sie ertrank. Angesichts dessen scheint der deutsche Titel für das Tagebuch von 1906 Vom Glück mit der Natur zu leben fast makaber.
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Lit.:
Taylor, Ina: The Edwardian Lady. The Story of Edith Holden, Author of The Country Diary of an Edwardian Lady. London, 1980.
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In Deutschland ist das Buch „The Country Diary of an Edwardian Lady“ im dtv unter dem Titel „Vom Glück mit der Natur zu leben. Das Tagebuch der Edith Holden.“ erschienen.